DIE TIEFE DES AMERIKANISCHEN KINOS

 

Ein Nachruf auf Robert Stack

 

 

„Watch his bleak blue eyes closely and you may begin to understand the depth of American cinema.“ (David Thomson über Robert Stack)

 

Robert Stack, geboren am 13. Januar 1919 in Los Angeles, gestorben am 14. Mai 2003, ebenfalls in der Stadt der Engel und des Kinos. Er hat wunderbare Rollen in einigen der besten Filmen aller Zeiten gespielt, aber dennoch dürfte sein Name nicht unbedingt zu denjenigen zählen, die jedem Filmfreund aus den Zeiten des klassischen Hollywood-Kinos geläufig sind. Vielleicht einfach, weil seine Film-Persona in seiner großen Zeit zu dunkel und kompliziert und zerrissen war, um Stack zum wirklichen Kinostar zu machen; die Tage des größten Ruhms sollten für ihn erst später kommen, mit einer Fernsehserie, in der er eine vergleichsweise eindimensionale Rolle spielte.

 

Stack begann seine Karriere in den späten 30er Jahren als jugendlicher Liebhaber; in seinem ersten Film (FIRST LOVE von Henry Koster) sorgte er für Schlagzeilen, weil er dem ehemaligen Kinderstar Deanna Durbin ihren ersten Leinwandkuß geben durfte. 1942 spielte er in einem der beiden berühmtesten Filme, an denen er beteiligt war: in Ernst Lubitschs klassischer Komödie TO BE OR NOT TO BE (SEIN ODER NICHTSEIN) als polnischer Fliegerleutnant Sobinski, der mit dem legendären Shakespearedarsteller Jack Benny um die Gunst von dessen Frau Carole Lombard konkurriert. Kurz danach ging Stack zur Navy, wo er als Ausbilder von Bordschützen tätig war. Als er aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrte, wurde er zunächst wieder als ungebrochener jugendlicher Held eingesetzt. In Richard Thorpes schönem Teenager- und Familienfilm A DATE WITH JUDY (WIRBEL UM JUDY) etwa gibt er 1948 noch einmal sein altes Rollenfach; er ist der College-Boy, der am Ende die hinreißende Elizabeth Taylor kriegt. Aber zugleich umgibt ihn eine ganz eigentümliche existentielle Traurigkeit, die fast deplaziert wirkt in diesem Feelgood-Movie und ihm zugleich doch einen Anflug von Tiefe gibt, wie er in diesem Genre ungewöhnlich und rar ist.

In den 50er Jahren dann folgten Stacks bedeutendste Leistungen, als große Regisseure des amerikanischen Kinos seine Traurigkeit für ihre Kunst zu nutzen verstanden, seine neurotische Unsicherheit, die Verletzungen der Seele, die sich in seinen freudlosen blauen Augen und seiner angespannten Körpersprache ausdrücken. In dieser Zeit drehte er Filme mit Budd Boetticher, William A. Wellman, Jacques Tourneur, Samuel Fuller und John Farrow. Und natürlich zwei Filme mit Douglas Sirk: eines der berühmtesten Hollywood-Melos überhaupt und einen der schönsten Fliegerfilme aller Zeiten.

Zum Star wurde Stack aber in den USA erst durch das Fernsehen. Von 1959 bis 1963 spielte er den legendären FBI-Mann Eliot Ness in der TV-Serie THE UNTOUCHABLES (die Rolle, die über 20 Jahre später in Brian de Palmas Film von Kevin Costner gespielt wurde). „Ich spiele ihn zurückgenommen wie einen normalen Menschen, der einen harten Job erledigt. Er lächelt nicht ständig oder befummelt Blondinen. Er ist nur ein Mann, der dem Tod ohne Heldenpose gegenübertritt“, hat Stack über seine Rolle gesagt, und auch, daß er sie eigentlich nie besonders gemocht habe. Seine späteren Film- und Fernsehrollen scheinen mir (soweit ich sie kenne) vernachlässigenswert; seine Selbstparodien in schrecklichen Filmen wie Spielbergs 1941 oder Zucker/Abrahams/Zuckers AIRPLANE (DIE UNGLAUBLICHE REISE IN EINEM VERRÜCKTEN FLUGZEUG) haben mir jedenfalls nur wenig Vergnügen bereitet.

 

In THE MORTAL STORM (TÖDLICHER STURM) von 1940 spielt Robert Stack den arischen Stiefsohn eines jüdischen Universitätsprofessors, zur Zeit der Machtergreifung der Nazis. Sein Bruder und er sind begeistert vom Faschismus; sie ersehnen eine neue und bessere Zeit für Deutschland; die Folgen, die das neue Regime bald für ihre Familie hat, versuchen sie kleinzureden. Frank Borzages Film ist das erste wirklich große Anti-Nazi-Melodram der Filmgeschichte, und vermutlich bis heute das beste. Um den Verfall einer Familie geht es in THE MORTAL STORM, und Borzage gelingt es, die Wirkungen des Faschismus konkret und unmittelbar fühlbar zu machen, ohne jemals flach zu werden und die eigentlichen Dimensionen der Barbarei aus dem Auge zu verlieren. Am Ende – Stacks Vater wurde im Konzentrationslager ermordet, seine Schwester auf der Flucht nach Österreich erschossen, seine Mutter und sein jüngster Bruder sind ins Ausland emigriert – ist Stack derjenige, der etwas gelernt hat. Er geht noch einmal durch sein leeres Elternhaus, in dem nur noch die Schatten des früheren Lebens verblieben sind. Borzage filmt das mit subjektiver Kamera, dann schneidet er nach draußen, und wir sehen Stacks Fußspuren im sanft fallenden Schnee, die Relikte seines Aufbruchs, irgendwohin, wo seine Seele frei sein kann.

Die Schlußszene von THE MORTAL STORM verweist, wie mir scheint, auf eine rare Besonderheit des Schauspielers Robert Stack. David Thomson hat geschrieben von Stacks „capacity for persuading us that a film can turn on a brief, intense physical demonstration“; ich glaube, daß das im Grunde nicht stimmt. Wenn man von Fritz Kortners wunderbarer Definiton des Schauspielers ausgeht – daß Menschen in einem Raum sind und reden und sie sind eigentlich gar nicht wirklich da, und dann kommt ein anderer und schweigt und ist voll und ganz da –, dann scheint mir Stack die vollendetste Verkörperung eines anderen und seltenen Typs von Darsteller zu sein: Er ist im Raum und redet und ist eigentlich nicht wirklich da, aber wenn er den Raum verläßt, bleibt auf einmal etwas völlig Unerwartetes zurück, eine Leere, die genau so körperlich ist wie das Da-Sein eines Robert Mitchum oder John Wayne. Wenn Stack zusammen mit James Stewart oder Robert Ryan oder Lauren Bacall (oder auch Rock Hudson) zu sehen ist, muß er arbeiten, um neben deren selbstverständlichem Da-Sein bestehen zu können. Aber wenn er von der Leinwand verschwindet, hinterläßt er eine Präsenz der Abwesenheit, die ich bei keinem anderen Schauspieler so stark empfinde. Hier, bei Borzage, dem größten romantischen Idealisten der Filmgeschichte, verweist diese Präsenz des Nicht-mehr-da-Seins noch auf eine politische und religiöse Transzendenz; später, in den beiden wilden und verzweifelten Melodramen, die Stack mit Douglas Sirk gedreht hat, wird es dann nur noch Hoffnungslosigkeit und Schmerz geben.

 

In HOUSE OF BAMBOO (TOKIO-STORY), einem der schönsten Filme des Regie-Mavericks Samuel Fuller, läuft Robert Stack am Anfang durch Tokio, unrasiert und in einem schäbigen Mantel; er klappert die Pachinko-Spielhallen ab, vertrimmt die Geschäftsführer und verlangt, in Zukunft an ihren Einkünften beteiligt zu werden – ein schmieriger Kleinkrimineller, der ein paar Yen abstauben will, ohne Stil und offensichtlich auch ohne Plan, denn natürlich bekommt er schnell Ärger mit der amerikanischen Gangsterbande, die sich nach dem Krieg in Tokio eingenistet hat und nun das Geschäft mit den Spielhallen kontrolliert. Später erfahren wir dann, daß Stack sehr wohl einen Plan hat: Er ist ein Undercover-Agent des Militärs, der sich in die Bande einschleichen soll und so Kontakt zu ihr aufgenommen hat.

„Ich wollte einen Film drehen über amerikanische Gangster, die Japan einsacken“, erzählte Samuel Fuller. „Aber außerdem wollte ich eine andere Art von Liebesgeschichte drehen, ohne etwas über Homosexualität zu sagen. Ich dachte, es wäre ehrlich, die Geschichte eines Mannes (Robert Ryan, der den Anführer der Gangsterbande spielt) zu drehen, dem ein anderer Mann sehr nahesteht. Das ist Cameron Mitchell. Dann trifft er Robert Stack. Und er mag Stack lieber. Zanuck (der legendäre Fox-Produzent) sagte, ‚Sie meinen, Bandenkrieg?‘ ‚Nein, es gibt einen Ausdruck in Japan, Ichiban, das heißt Nummer Eins bei der Arbeit oder Nummer Eins in Deinem Herzen.‘“

Natürlich wird Stack am Ende den Mann verraten, der ihn liebt. Dann schießt Robert Ryan in der tollen Schlußszene auf dem Dach eines Kaufhauses, wo Familien und Kinder ihre Freizeit verbringen, in die Enge getrieben wild um sich. Trotzdem ist er, der Liebende, der Mann, der spontan in diesem Film unsere Sympathie hat. Erst beim zweiten Sehen wird einem die ganze Dimension von Stacks Verrat wirklich bewußt, und wie grandios er diesen Mann in seinem unauflösbaren moralischen Dilemma spielt, und man beginnt zu begreifen, daß er in diesem düsteren und kaltschnäuzigen Melodrama eigentlich die wirkliche tragische Figur ist.

 

In Douglas Sirks grandiosem Melo WRITTEN ON THE WIND (IN DEN WIND GESCHRIEBEN) ist Stack der poor rich man des amerikanischen Kinos schlechthin: der texanische Ölbaron Kyle Hadley, der reich ist und gutaussehend und frei, alles zu tun, was er will (am Anfang des Films fliegt er mal eben nach New York, weil es da die besten Steak-Sandwiches gibt), und der sich doch eigentlich immer nur in die glücklichen Tage der Kindheit zurücksehnt und danach, so zu sein wie sein Jugendfreund Mitch (Rock Hudson), der lebenstüchtiger ist als er und ganz in sich selbst ruht. Stack gewinnt Lauren Bacall, die seine Frau wird; aber gewinnt er wirklich ihr Herz und nicht nur ihr Mitleid? Als sich herausstellt, daß mit Stacks sexueller Potenz etwas nicht stimmt, verfällt er dann ganz und gar den Delirien des Selbsthasses; einmal schleudert er Lauren Bacall die Worte entgegen: „Dich lieben? – Ich liebe ja nicht einmal mich selbst“, und das ist einer der schrecklichsten Momente, die ich jemals im Kino gesehen habe.

Eines der wirklichen Wunder in WRITTEN ON THE WIND ist, daß wir darin die Figuren am allermeisten lieben, die eigentlich am wenigsten sympathisch sind: Robert Stack, der schwach ist und aus seiner Schwäche und Verzweiflung heraus auch die Menschen in seiner Umgebung zugrunde richten will, und seine Schwester (Dorothy Malone), die furchtbare Intrigen spinnt. Douglas Sirk, hat Rainer Werner Fassbinder einmal geschrieben, ist „auf den Spuren der Verzweiflung der Menschen. In WRITTEN ON THE WIND ist das Gute, das ‚Normale‘, das ‚Schöne‘ immer sehr eklig, das Böse, das Schwache, das Haltlose öffnet das Verständnis.“

Kyle Hadley kommt durch einen Unfall ums Leben: eine Rangelei um seine Waffe, bei der sich ein Schuß löst. Nach seinem Tod geht der Film noch einige Minuten weiter (genau wie in THE TARNISHED ANGELS, dem zweiten Film, den Sirk mit Stack gemacht hat), und Sirk ist wohl der Regisseur, der am allermeisten aus Stacks „Präsenz der Abwesenheit“ gemacht hat. Wenn Stack tot ist, scheint in beiden Filmen mit ihm alle Hoffnung auf eine Zukunft aus den Bildern gewichen zu sein und jede potentielle Freunde und alles Licht; es ist, als ob eine klaffende Wunde zurückbleibt, die sich nicht mehr schließen will und die nichts als Schmerz ist und eine Anklage gegen das Leben selbst, daß jemand so zugrundegehen mußte wie Kyle Hadley. Vielleicht war Stack auf der Leinwand nie so präsent wie in den Schlußszenen von WRITTEN ON THE WIND und THE TARNISHED ANGELS, in denen er überhaupt nicht zu sehen ist; und das ist ebensosehr eine Leistung des großen Schauspielers Robert Stack wie es dem Genie von Douglas Sirk zu verdanken ist.

Am Ende spricht Dorothy Malone den Nekrolog für ihren Bruder, in der Gerichtsverhandlung, in der sein Tod untersucht wird: „Er war traurig – der Traurigste von uns allen. Er hatte so viel nötig – und er hatte so wenig.“

 

In THE TARNISHED ANGELS (DUELL IN DEN WOLKEN), seinem zweiten Film für Douglas Sirk, nach William Faulkners Roman „The Pit“ („Wendemarke“) ist Stack das Fliegeras Roger Shumann, das als Held aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekommen ist und feststellen mußte, daß Leute seines Schlages nicht mehr gebraucht werden. Weil er nichts anderes kann und will als Fliegen, schlägt sich Shumann mit Flugshows durch, auf denen er halsbrecherische Stunts vorführt und an gefährlichen Wettflügen teilnimmt. Er lebt in einer merkwürdigen ménage à trois mit seiner Frau Laverne (Dorothy Malone) und seinem Mechaniker (Jack Carson); ob Lavernes Kind von Stack oder von Carson ist, weiß keiner genau.

Eine der schönsten und am meisten mißverstandenen Liebesszenen, die ich im Kino überhaupt kenne: Als Laverne den beiden Männern, mit denen sie zusammenlebt, weil sie sich einmal in ein Plakat von Roger Shumann verliebt hat und ihm dann nachgereist ist, sagt, daß sie ein Kind erwarte, schlägt Stack seinem Mechaniker vor, darum zu spielen, wer sie heiraten müsse. Carson ist empört, läßt sich dann aber doch darauf ein. Sie würfeln, Carson verliert und sagt, okay, dann werde er sie eben heiraten. „Nein“, sagt Stack, „der Gewinner bekommt sie.“ Was vielen entgeht (und leider auch Dorothy Malone im Film), ist, daß das eigentlich gar kein Glücksspiel mehr ist, wenn Stack am Ende einfach die Regeln ändert; es ist dann seine bewußte Entscheidung, sie zu heiraten, und somit auch eine Liebeserklärung: die einzige Art von Liebeserklärung, zu der dieser Mann fähig ist, der von Liebe nur reden kann, als ob sie ihn belästige, und bei dem man schon sehr genau hinsehen muß (so genau, wie es Sirks Kamera tut, aber keine der Personen des Films), um sein Herz zu erkennen.

Am Ende will Stack das Fliegen aufgeben, um nur noch für Dorothy Malone dazusein; ein letztes Wettfliegen, aber die letzte Begegnung mit dem Tod wird ihn dann wirklich das Leben kosten. Douglas Sirk sagte über THE TARNISHED ANGELS: „Robert Stack gab als Roger Shumann eine der besten Leistungen, die ich von ihm gesehen habe: die fahrig verlorenen Gebärden eines durch den Krieg entwurzelten Mannes. Der nur noch für den Tod offene Blick. Seine ins Nichts gerichteten brennenden Augen. – Wenn das Fliegen vorbei war, was war da sonst noch für ihn?“

 

Noch einmal Douglas Sirk über Robert Stack: „Soweit ich in Frage komme, ist Stack ja tatsächlich einer der größten Schauspieler gewesen, die Hollywood je gesehen hat und übersehen hat.“

 

Thomas Klarmeyer

 

 

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